Das Fehlen des menschlichen Elements – Eine kritische Betrachtung moderner Arbeitsvermittlung

By M. M. Elghusein, J.D.

Published on June 9, 2025

Schon lange vor der Wirtschaftskrise empfanden viele Arbeitssuchende Online-Bewerbungen als unpersönlich und frustrierend. Der Mensch wird zur Zahl, das Gesicht hinter der Bewerbung verblasst – das menschliche Element fehlt. Die anhaltende Wirtschaftskrise verschärft die bereits bestehenden Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Berichte über Bewerber, die trotz hunderter Bewerbungen Absagen erhalten, sorgen für Schlagzeilen und sind Ausdruck eines tiefgreifenden Systemversagens.

Lebensläufe werden dutzendfach optimiert, Motivationsschreiben ständig neu angepasst. Man bewirbt sich pflichtbewusst, kreativ, schreibt höflich, passt sich an – und dennoch folgen Absagen. Oft wegen vermeintlicher Kleinigkeiten, sogenannter Nuancen, oft ohne ersichtlichen Grund. Der Frust wächst.

Das AMS mit seinen vielen Außenstellen, wirkt für viele Betroffene nicht wie eine wirksame Hilfe bei der Jobsuche. Vielmehr scheint das System mit sich selbst beschäftigt. Das Ergebnis: eine steigende Zahl an Langzeitarbeitslosen, die von staatlicher Unterstützung leben müssen – häufig trotz hoher Qualifikation und echter Bemühungen.

Die gegenteilige Wirkung der Digitalisierung

Die Digitalisierung der Gesellschaft, einst als Fortschritt gefeiert, hat in vielen Bereichen eine gegenteilige Wirkung entfaltet. Das Internet, ursprünglich als Werkzeug zur Verbindung von Menschen gedacht, hat sich in Teilen zu einem System entwickelt, das Menschen voneinander trennt – mit spürbaren negativen Folgen für das soziale Miteinander. Ein Segen, der sich vielerorts als Fluch entpuppt hat.

Eine Schattenseite wurde erkannt: Das Handyverbot an Schulen

Die derzeitige Regierung hat die Schattenseiten dieser Entwicklung erkannt. Das Handyverbot an Schulen ist ein gutes Beispiel für den Versuch, der sozialen Entfremdung entgegenzuwirken. Ziel ist es, dass sich Schüler wieder stärker auf den Unterricht konzentrieren und in echten Austausch mit ihren Mitschülern treten. Ähnliche Maßnahmen braucht es auch in der Arbeitsvermittlung, denn dieselben Technologien führen dazu, dass Menschen nicht mehr als Menschen wahrgenommen werden.

Gerade für ältere Arbeitssuchende, etwa Menschen ab 40, ist diese Entwicklung besonders belastend – nicht selten dauert die Jobsuche viele Monate, manchmal sogar Jahre.

Anonymität statt Beziehung

Der direkte Kontakt – etwa ein persönliches Gespräch am Telefon oder eine handgeschriebene Bewerbung – war früher der erste Schritt, eine Beziehung zum potenziellen Arbeitgeber aufzubauen. Heute ist die Bewerbung oft nur ein Klick auf „Jetzt bewerben“. Der Bewerber oder die Bewerberin bleibt eine Datei in einem System, eine Nummer unter Hunderten. Der Eindruck, gesehen und wertgeschätzt zu werden, bleibt aus – mitunter sogar der Eindruck, überhaupt von einem Menschen gelesen zu werden.

Kulturelle und soziale Barrieren

Ein weiterer kritischer Punkt ist die zunehmende Standardisierung im digitalen Bewerbungsprozess, die individuelle Vielfalt oft nicht ausreichend berücksichtigt. Menschen mit nicht-linearen Lebensläufen, mit Migrationshintergrund oder solchen, die beruflich umgesattelt haben, fallen häufig durch das Raster automatisierter Systeme. Ohne die Chance, sich persönlich vorzustellen oder die eigene Geschichte zu erzählen, bleibt kein Raum für Empathie oder Verständnis – und damit für echtes menschliches Potenzial.

„So effizient und bequem digitale Bewerbungsprozesse auf den ersten Blick auch erscheinen mögen – sie entmenschlichen einen Prozess, der zutiefst menschlich ist.“

Die Schattenseite digitaler Bewerbungen: Unpersönlich und ineffizient

Ironischerweise sind viele digitale Bewerbungsverfahren alles andere als effizient. Bewerbungsplattformen verlangen das Ausfüllen endloser Formulare, oft mit redundanten Informationen, und das obwohl der Lebenslauf bereits hochgeladen wurde. Die Mühe wird selten belohnt: Standardisierte Absagen sind die Norm. Das erzeugt Frust und demotiviert Bewerber, die Zeit und Energie investiert haben.

So effizient und bequem digitale Bewerbungsprozesse auf den ersten Blick erscheinen mögen – sie entmenschlichen einen Prozess, der zutiefst menschlich ist. Es geht nicht nur um Qualifikationen, sondern um Motivation, Persönlichkeit und Potenzial. All das lässt sich schwer in Formularfelder pressen oder durch einen Algorithmus erfassen.

Ein Appell an Unternehmen: Die Barrieren abbauen

Der persönliche Kontakt, individuelle Rückmeldungen und die Offenheit für Lebenswege abseits der Norm sind entscheidend – nicht nur, um Lebensläufe zu finden, die Algorithmen und Kriterien entsprechen, sondern vor allem, um motivierte Bewerber zu erreichen. Die Barrieren, die die Digitalisierung geschaffen hat, sollten abgebaut werden. Unternehmen müssen wieder zugänglicher – und damit menschlicher – werden.

Das AMS sollte die Hand reichen – echte Vermittlung statt bloßer Verwaltung

Das AMS sollte eine aktivere Rolle übernehmen – insbesondere bei Arbeitssuchenden, die aufgrund ihres Alters, ihrer Ausbildung oder Herkunft benachteiligt sind. Wer bestimmte Kriterien erfüllt – zum Beispiel Qualifikationen, Motivation und Bewerbungsbereitschaft – sollte nicht länger allein gelassen werden. Das AMS sollte diesen Menschen sprichwörtlich die Hand reichen und sie persönlich bei Unternehmen vorstellen. Eine direkte Vermittlung – mit echtem menschlichem Kontakt – würde nicht nur Vertrauen schaffen, sondern auch die Chancen auf eine Anstellung deutlich erhöhen. Denn wer seine Pflicht erfüllt hat, verdient Unterstützung, die über bürokratische Abläufe hinausgeht. 

Mehr Chancen durch Praktika

Ein weiterer Schritt zu mehr Menschlichkeit in der Arbeitsvermittlung wäre die gezielte Förderung von Praktika. Besonders für motivierte Quereinsteiger, ältere Arbeitssuchende oder Menschen mit Migrationshintergrund bieten Praktika die Möglichkeit, ihr Können unter Beweis zu stellen.

Durch direkten Kontakt mit Arbeitgebern können Vorurteile abgebaut und reale Perspektiven geschaffen werden. Das AMS sollte solche Praktika aktiv vermitteln und begleiten – nicht als Pflichtmaßnahme, sondern als echte Chance auf berufliche (Wieder-)Eingliederung.

Wer beispielsweise in Österreich im juristischen Bereich Fuß fassen möchte, kommt ohne ein österreichisches Magisterstudium in der Regel nicht weiter – selbst dann, wenn bereits ein vollständiges Jurastudium im Herkunftsland absolviert wurde.

Eine praxisnahe und faire Lösung wäre die Einführung eines juristischen Praktikums, das unabhängig vom österreichischen Studium absolviert werden kann. Nach vier Jahren Berufserfahrung als Konzipient in einer Anwaltskanzlei sollte der Kandidat oder die Kandidatin die Möglichkeit erhalten, eine Prüfung bei der Rechtsanwaltskammer abzulegen. Bei Bestehen dieser Prüfung könnten sie als Anwalt oder Anwältin zugelassen werden.

Abschaffung der Hürden im öffentlichen Dienst und im Bildungsbereich

Wer den Wunsch hat, im öffentlichen Dienst – etwa als Beamter oder im Bildungsbereich – tätig zu werden, sollte nicht durch starre und praxisferne Aufnahmeverfahren abgeschreckt werden.

Stattdessen sollten persönliche Eigenschaften wie eine gute Ausbildung, berufliche Erfahrung, persönliche Integrität, einwandfreier Leumund, Verantwortungsbewusstsein und Motivation stärker gewichtet werden. Sogennante Eignungstests, bei denen selbst gut ausgebildete und engagierte Bewerber scheitern, stellen eine unnötige Barriere dar und verhindern, dass fähige Menschen ihre Kompetenzen zum Wohl der Allgemeinheit einbringen können.  

Die Politik steht in der Verantwortung

Es ist an der Zeit, über neue Wege in der Arbeitsvermittlung nachzudenken. Wege, die den Menschen wieder in den Mittelpunkt stellen.

Die Politik steht in der Verantwortung, auf die Fehlentwicklungen des Arbeitsmarkts zu reagieren und dafür zu sorgen, dass menschliche Aspekte nicht länger ins Hintertreffen geraten. Denn: Hinter jeder Bewerbung steht ein Mensch. Und genau das darf im digitalen Zeitalter nicht vergessen werden.

Der Autor

M. M. Elghusein, J.D.

Geboren in Wien, ist ausgebildeter Jurist und Übersetzer. Er ist Herausgeber und Chefredakteur von The New Jurist

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